Aus einer „passione per la zona del Chianti“ heraus, der Leidenschaft für das Chiantigebiet, erwirbt Paolo Panerai, Verleger aus Mailand, in den 60er Jahren eine kleine Kellerei in der Nähe von Castellina. Mit viel Akribie, Liebe zum Detail und natürlich einer gehörigen Portion Qualitäts- besessenheit entsteht daraus in den folgenden Jahren eine der Vorzeigekellereien der Toskana. Heute besteht Castellare aus vier Einzel-Kellereien: Caselle, Castellare, San Niccolò und Le Case.
Unter den häufig prämierten Weinen von Paolo Panerai befindet sich auch der Einzellagenwein „I Sodi di San Niccolò“ — genau diese Lage umgibt die kleine Kirche San Niccolò.
Im Inneren der Kirche ist es kühl. Komplett restauriert erwartet sie ihre Besucher. Dominierende Farben sind blau und weiß, Barock-Dekor bedeckt Wände, Nischen und Altäre. Ganz hinten, gleich neben dem Hauptaltar, befindet sich eine kleine Holztür. Dahinter führt eine steile Treppe hinab in die Krypta. Unten angekommen, könnte die Überraschung kaum größer sein. Dominiert in der Kirche und im angrenzenden Wohnhaus Jahrhunderte alte Geschichte, so hat hier die Moderne Einzug gehalten. Vergebens sucht man nach muffigen Mauern, verfallenen Särgen oder steinernen Inschriften. Stattdessen: ein Umlegen der Schalter und schon erstrahlt ein langer, in Beton gegossener Gang im unwirklich blauen Licht. Scheinwerfer erleuchten die Decke. Über eine elliptische Rampe geht es in den eigentlichen Weinkeller. Kreisrund präsentiert er sich, die Barriquefässer stilvoll angeleuchtet — durch eine runde Öffnung in der Decke fällt zudem Tageslicht. In diesem Ambiente, das Einzug in so manche Architekturzeitschrift hielt, reifen die großen Weine von Castellare.
Gemacht werden die Weine von Castellare in Castellina inmitten der Weinberge, in einem Bauernhof aus dem 13. Jahrhundert. Das Anwesen thront auf einem Hügel, von einem Wehrturm aus schweift der Blick in die Ferne. Über dem Bauernhaus, auf dem nächsten Hügel, liegt der mittelalterliche „Borgo“, der Burgberg von Castellina, unterhalb der Weinberge erhebt sich die kleine Kirche San Niccolò. Und innerhalb der lehmbraunen Mauern von Castellare, tief unten im Keller wird vinifiziert, in den alten Stallungen darüber reifen die Trauben für den berühmten Vin Santo. „Hier herein“, ruft Önologe und Direttore Alessandro Cellai, als er die Türen zu den Stallungen öffnet. Ein süßer Geruch schlägt uns entgegen. Hier, zu Tausenden an Schnüren aufgehängt, reifen die Trauben für den Vin Santo, den typisch toskanischen Dessertwein. Nach der Ernte im Oktober werden die Traubenbündel von Hand an die Schnüre gebunden — so können sie rundherum trocknen und sind in luftiger Höhe vor lästigen Nagern sicher. Im Dezember dann wird der „Traubenvorhang“ abgehängt und die Beeren vinifiziert. Die mühevolle Handarbeit garantiert ein herausragendes Produkt — soviel Mühe für den Vin Santo findet man nur noch selten in der Toskana. Mühevoll gestaltet sich auch die Ernte im steilen Weinberg. Kommandos werden gerufen, der kleine Traktor — natürlich ein Lamborghini — bahnt sich fast kunstvoll seinen Weg durch die Reben. Dazwischen ernten die Arbeiter die reifen Trauben. Alle Arbeiter kommen aus der näheren Umgebung — manche arbeiten schon seit Jahrzehnten für „Dottore Panerai“, wie sie ihn hier nennen. Geerntet wird natürlich ausschließlich von Hand. Was in den Körben von Castellare landet sind keine internationalen Traubensorten. Man fühlt sich der Region verbunden, also baut man die gebietstypischen Trauben an.
Mehr noch als das: Während viele andere toskanischen Winzer auf die Sangiovese-Traube setzen, entstehen die Weine von Castellare aus der Sangioveto-Traube, dem „Padre“ der Sangiovese, einem genetischen Urahn also. Schon von Anfang an, machte sich Paolo Panerai für diese Traube stark und erhielt sie so vor dem Aussterben. „Diese Traube“ schwärmt Alessandro Cellai „hat einen Gusto unico“, einen einzigartigen Geschmack. Und wenn die Weine dann noch in einer Kirche reifen, ist himmlischer Genuss wohl garantiert.